Episode 43: Digitaler Müll und Demokratie

Zitat Moritz Riesewieck: Wir sollten darüber nachdenken, was wir da eigentlich ausverkaufen, wenn so zentrale Aufgaben von Öffentlichkeit von Privatfirmen verwaltet werden, die ganz andere Werte haben.

Der Film „The Cleaners“ zeigt die schmutzige Seite der Digitalisierung. Die beiden Autoren Florian Riesewieck und Hans Block machen darin für uns alle sichtbar, was die Unternehmen am liebsten weiter im Verborgenen hätten: Nämlich wie digitaler Müll aus den sozialen Netzwerken gefischt wird. Dazu gehören Bilder und Videos, die wir nicht sehen wollen – oder sollen. Bilder und Videos von Enthauptungen, Vergewaltigungen, live gestreamten Selbstmorden, aber auch Pornografie oder das, was dafür gehalten wird. Ein Job, den nicht etwa Algorithmen übernehmen, sondern Menschen. Sogenannte Content Moderator. Sie haben wenige Sekunden Zeit, um zu entscheiden: „Delete“ oder „ignore“ – also löschen oder ignorieren.

Die Frage ist aber nicht nur: Was macht dieser Job mit den Menschen, die in tagtäglich ausüben müssen. Die Frage ist auch: Was macht das mit uns? Was macht das mit unserer Demokratie. Wer macht die Regeln? Was heißt Zensur? Wie viel „Sauberkeit“ braucht das Netz?

Darüber sprechen wir in dieser Folge mit Hans Block und Florian Riesewieck. Den Film „The Cleaners“ könnt ihr noch bis zum 18. September 2018 in der ARD Mediathek sehen.

Ritas Literaturliste:

  • Butler, Judith: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin 1998.
  • Pechriggl, Alice / Schober, Anna (Hrsg.): Hegemonie und die Kraft der Bilder. Klagenfurter Beiträge zur Virtuellen Kultur. Band 3. Köln 2013.
  • Riesewieck, Moritz: Digitale Drecksarbeit – Wie uns Facebook & Co. von dem Bösen erlösen. dtv 2017.
  • Sarasin, Philipp: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765 – 1914. Frankfurt/Main 2001.
  • Sachs-Hombach, Klaus: Bilder – Sehen – Denken. Zum Verhältnis von begrifflich-philosophischen und empirisch-psychologischen Ansätzen in der bildungswissenschaftlichen Forschung. Köln 2011.
  • Thompson, Christiane / Schenk, Sabrina (Hrsg.): Zwischenwelten der Pädagogik. Paderborn 2017. [Hierin und auch andernorts v.a. die Arbeiten von Markus Rieger-Ladich und Olaf Sanders]

Der Film:

  • Block, Hans / Riesewieck, Moritz: The Cleaners. farbfilm home entertainment / Lighthouse Home Entertainment. 2018

Falls ihr Feedback direkt an Hans Block oder Moritz Riesewieck loswerden möchtet, dann schreibt an mail(at)laokoon(punkt)group

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2 COMMENTS

  1. Martin Rützler | 15th Sep 18

    Vielen Dank für das sehr spannende Gespräch. Es animiert mich zu folgenden, leider nicht sehr konkreten Gedanken, die ich trotzdem mit Euch teilen möchte:

    Eine gesellschaftlich-juristische Bewertung dieser „neuen Medien“ ist – obwohl sie nun schon so lange existieren – offenbar noch immer nicht endgültig gefunden.

    Ich versuche in solchen Fällen, Analogien zu bereits bestehenden Rechtsgebieten zu suchen. Facebook zum Beispiel würde ich eher mit einem Verlagshaus, als mit der Telekom vergleichen.

    Die Telekom (oder andere Telekommunikationsdienstleister) stellt einfach Verbindungen zwischen zwei Punkten her. Gleiches gilt für Postdienstleistungen. Da wird ohne Zensur transportiert. Was immer in den Hörer oder den Briefumschlag gepackt wird, soll in gleicher Weise (ohne Kürzung oder Löschung) am anderen Ende wieder herauskommen. Selbst wenn es Beleidigungen oder Bomben sind, wird nicht der Bote dafür zur Rechenschaft gezogen.

    Ich werte Facebook und Co. aber nicht als Telekommunikationsdienstleister. Vielmehr sehe ich eine Analogie zu einem Verlag. Angenommen Frau Salztal würde einmal täglich ein „Gesichtsheft“ drucken. Während andere Zeitschriften sich üblicherweise etwa zu 70 % aus redaktionellem Inhalt, 20 % Werbung und 10 % Leserbriefen zusammensetzen, würde das „Gesichtsheft“ aber zu 1 % aus redaktionellem Inhalt, 20 % Werbung und 79% Leserbriefen gefüllt sein. Letzteres manchmal auch gern mehr (Zahlen sind alle ausgedacht!)

    Welchen Regeln würde das „Gesichtsheft“ gegenwärtig in Deutschland unterworfen sein? Wäre Frau Salztal nicht für den Inhalt der Leserbriefe verantwortlich zu machen? Ich weiß es nicht genau. Ich kenne nur Anmerkungen der Art: „Leserbriefe geben die persönliche Meinung wieder, nicht unbedingt die der Redaktion“ oder „von der Redaktion gekürzt“. Das zeigt mir aber schon, dass Redaktionen offenbar auch eine Verantwortung für die Fremdinhalte wahrnehmen.

    Bei Anwendung dieser Analogie ist es für mich klar, dass Facebook auch für alle Inhalte ihrer/seiner „Leserbriefe“ die Verantwortung trägt. Was wir zu sehen bekommen, ist die Meinung der „Redaktion Facebook“.

    Ich verstehe nicht, wie der Wunsch zu begründen wäre, in Facebook die „Wahrheit“ der ganzen Welt wiederzufinden.

    Facebook ist eine Firma, die überwiegend Leserbriefe veröffentlicht. Nicht mehr und nicht weniger.

    Da die Firma ihr Produkt in allen Ländern der Welt anbieten möchte, muss sie sich den dort jeweils geltenden Regeln unterordnen. Kein Hakenkreuz hier, keine Nippel dort usw. Um das zu gewährleisten, setzt sie ihre „Redakteurinnen und Redakteure“ als Filter davor. Mehr nicht.

    Das sind Firmenentscheidungen, wie sie andernorts etwa über den Zuckergehalt einer global vertriebenen Limonade getroffen werden.

    So wie wir einen Brausehersteller nicht für gesunde Ernährung ansehen, sollten wir Facebook vielleicht auch nicht für gesunde Information ansehen.

    Die Erwartung halte ich für viel zu hoch angesetzt.

    Der Gedanke, dass die „Facebook-RedakteurInnen“ gleich Christus die Schuld der Welt auf sich nehmen wollen, verstört mich geradezu.

    Facebook ist ein marktwirktschaftlich getriebenes Unternehmen, muss Profit erwirtschaften, für üppige Quartalszahlen sorgen. Die Facebook-Aktie muss gut dastehen. Das ist das Ziel. Niemals geht es darum, das Leben irgendeines Menschen in dieser Welt auch nur einen Hauch besser zu machen.

    Und wie immer liegt die Entscheidung, ob wir das „kaufen“ oder nicht, bei uns VerbraucherInnen.

    Anmerkung: Ich fürchte, der Begriff „Leserbriefe“ zeigt schon, aus welcher Generation ich stamme 🙂 Sorry an alle, die damit nun so gar nichts mehr anfangen können.

    Liebe Grüße, Martin! (Ihr seid immer ein Hörgenuß!)

    • nora@wddd | 15th Sep 18

      Lieber Martin,

      erst mal vielen Dank fürs Hören, dein Lob und deine Gedanken, die ich sehr nachvollziehen kann. Und ich würde dir gerne in allem sehr recht geben. Aber …

      Das Ding mit den Leserbriefen hinkt in einem ganz entscheidenden Detail: Leserbriefe werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit an eine Redaktion geschickt. Wie viele das sind, wer schreibt, warum wer schreibt und auf welche Artikel Bezug genommen wird, bleibt komplett im Verborgenen. Das wird erst sichtbar, NACHDEM eine Redaktion da drüber geschaut hat. Leserbriefe schreiben war zudem – verglichen mit Kommentaren in sozialen Netzwerken – sehr aufwändig. Ich musste mir Zeit nehmen, etwas zu formulieren, das ganze in einen Briefumschlag stecken, frankieren (ich musste ZAHLEN, damit meine Beschwerde überhaupt eine Redaktion erreichte) und dann das ganze zur Post oder zum nächsten Briefkasten befördern. Auf eine Antwort musste ich warten, wenn denn überhaupt eine kam.

      Mit E-Mails ging es dann etwas schneller, aber auch da fand die Kommunikation unter Ausschluss er Öffentlichkeit statt. Irgendwann kamen dann die Kommentarspalten. Zunächst moderiert, später auch unmoderiert.

      Und dann. Kam. Social Media.

      Seitdem taucht überall „Leserpost“ auf. Unter jedem noch so fitzeligen Beitrag. Egal ob Lokalpresse, großes Medienunternehmen, Einzelperson oder prominente Persönlichkeit. Es kann und wird überall kommentiert. Der Witz ist: Es sind weiterhin kaum 10 Prozent der Nutzer, die überhaupt kommentieren. Aber: Es ist sofort alles öffentlich. Rund um die Uhr. Die Zensur wird sichtbar und bisweilen sogar überprüfbar, wenn nur jemand schnell genug einen Screenshot macht. Es gibt Massenproteste bei jedem Kleinscheiß. Menschen werden auf offener Straße fotografiert und gefilmt, ihre Identitäten werden aufgedeckt und so selbst Privatpersonen an die Öffentlichkeit gezerrt. In viralen Videos erreichen sogar Kinder im Nullkommanix weltweite Berühmtheit, weil Eltern sich für ihre Erziehungsmethoden beklatschen lassen wollen. Ganz zu schweigen von dem, was wir nicht mitbekommen, weil es in geschlossenen Gruppen stattfindet.

      Ich bin nicht sicher, ob es reicht, Soziale Netzwerke mit Verlagen gleichzusetzen. Und: Es ist kaum möglich, länderspezifische Grenzen in der Gesetzgebung zu setzen. Denn wie definiere ich das? Ich kann mir IP-Adressen aus jedem Land der Welt holen. Kann darunter Profile anlegen. Und dann spiele ich als Netzwerk einmal nach den Regeln von Diktatoren und liefer „Dissidenten“ ans Messer und einmal nach den Gesetzen der Demokratier. Das alles, um weiterhin gewinnbringend zu wirtschaften. Und wo ist die Grenze dann? Kann ich dann in Deutschland wieder nur Posts aus Deutschland sehen und in den USA wieder nur Dinge aus den USA? Was, wenn ein Post aus den USA die Regeln der Meinungsfreiheit in Deutschland verletzt. Bekomme ich das dann in den USA zu sehen und in Deutschland nicht? Und wenn dann jemand einen Screenshot davon macht und in einem anderen Netzwerk mit ganz anderen Regeln hochlädt, bekomme ich das dann nicht trotzdem zu sehen?

      Wo du völlig Recht hast: Es ist eine Illusion zu glauben, Facebook wäre dazu da, das Leben der Menschen per se besser zu machen. Es kann sie sowohl besser als auch schlechter machen. Aber ich fürchte, am Ende ist das Netzwerk selber nur eine Lupe und im Zweifel ein Verstärker für die Vielfalt menschlichen Verhaltens. Die Frage, die ich mir stelle, ist: Müssen wir nicht auch menschliches Verhalten und Gesellschaft als solche in Frage stellen?

      Moritz stellt, finde ich, dazu eine sehr wichtige Frage: Warum müssen Menschen ihr Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung in Sozialen Netzwerken befriedigen? Ich glaube, die Antwort auf die Frage ist essentiell. In vielerlei Hinsicht.

      Den Ansatz, Facebook als Verlagshaus einzuordnen finde ich grundsätzlich nicht schlecht. Aber ich fürchte, er greift in einer Welt, in der jede/r zum Sender werden kann, nicht weit genug. Und lässt auch dann noch viel zu viele Fragen offen.

      Liebe Grüße

      Nora

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