... über den Umgang mit extremen Haltungen

Dieser Podcast ist eine Herausforderung. Weil wir uns mit Gedanken konfrontieren, die extrem sind. Grenzüberschreitend. Es geht um extreme Haltungen und radikales Denken. Und es geht um die Frage nach der Legitimation von bestimmten Formen der Gewalt. Und wie, warum und wo wir Grenzen ziehen wollen oder müssen. Denn so eindeutig, wie uns die Antwort häufig scheint, ist sie gar nicht.

Dezember 2022. Der Diskurs über Radikalität ist vor allem dadurch geprägt, dass wir alle Erscheinungen in einen Topf werfen und pauschal verurteilen. Und zwar ohne, dass wir uns die Kontexte und Hintergründe anschauen, vor denen sie auftauchen. Da werden die Klimaaktivisten von „Letzte Generation“ mal schnell ins Hufeisen gepackt und auf eine Stufe gestellt mit dem gerade ausgehobenen „Reichsbürger“-Netzwerk, dessen Mitglieder wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat, sprich demokratiefeindlichem Terror, vorläufig festgenommen wurden. Und auch bei den Protesten in Iran gibt es immer wieder Versuche, die Protest- und Revolutionsbewegung als radikal und gewalttätig darzustellen, während die eigentliche Gewalt von einem totalitären Regime ausgeht, das seine Bürgerinnen und Bürger willkürlich inhaftiert, foltert und ermordet.

Was also ist vor diesen Hintergründen Radikalität? Wie grenzen wir sie ab von Fanatismus, Totalitarismus und Extremismus? Wie weit darf – philosophisch gesehen – radikales Denken gehen? Und warum müssen wir uns dabei die Frage stellen, wie welche Formen von Gewalt in diesem Umfeld legitimiert werden?

Ritas These: „Wenn man Radikalität philosophisch ernst nimmt, wird man dabei rauskommen, denkerisch moderat zu sein. Moderat und radikal sind dann nicht mehr das Gegensatzpaar, das man vermutet.“

Glaubte man Peter Weibel und Boris Groys, so waren die Anschläge auf das World Trade Center eine künstlerische Performance. Zum einen deshalb, weil sie als ein mediales Spektakel, nämlich als weltweit unübersehbare Inszenierung der Verletzlichkeit der Großmacht USA konzipiert waren. Zum anderen darum, weil hierbei die Grenzen von Kunst und Realität entschieden mißachtet wurden. Riskiert wurde hier angeblich ein Ausbruch der Kunst aus der Spähre der Kunst. Nach Weibel nämlich macht es die ganze Obsession eines modernen Künstlers aus, mit künstlerischen Mitteln einen Ausbruch aus dem Kunstsystem zu bewirken, hinein in die Welt, um dort, wie Peter Sloterdijk, ein anderes Mitglied des ästhetischen Kollegs, es formulierte, „das große Ding zu machen“. So wurde der Terrorist zu dem Modellfall eines Künstlers, der mit der Selbstaufhebung der Kunst wirklich Ernst gemacht hat. Bei Groys gipfelte diese Diagnose in dem Satz: „Der Terrorist ist ein moderner Künstler unter der Bedingung, dass das moderne Kunstsystem fehlt.“ Unausgesprochen allerdings blieb das logische Komplement dieses Satzes: Der moderne Künstler ist ein Terrorist unter der Bedingung, daß die Logistik eines entsprechenden Netzwerks fehlt. Man sieht hier exemplarisch, wie sehr die Fixierung auf eine starre Norm der Radikalität sowohl im Bereich der Kunst wie in dem der Politik in schiere Blindheit und schieren Blödsinn münden kann.“

Aus Seel, Martin: Das Radikale und das Moderate

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Ritas Literaturliste:

  • „radikal“. In: Regenbogen, Arnim/ Meyer, Uwe (Hrsg.): Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Hamburg 2013.
  • Bermes, Christian: Radikalität – Etikett oder Gestalt? Zum Ort des Radikalen in der Kultur. In: Konersmann, Ralf/ Westerkamp, Dirk (Hrsg.): Zeitschrift für Kulturphilosophie 2012/2, S. 17-30.
  • Dietrich, Kai: Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung als pädagogische Arbeitsfelder. Abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/236720/radikalisierungspraevention-und-deradikalisierung-als-paedagogische-arbeitsfelder/ (Datum des letzten Abrufs: 30.11.2022)
  • Marten, Rainer: Geistige Radikalität. In: Konersmann, Ralf/ Westerkamp, Dirk (Hrsg.): Zeitschrift für Kulturphilosophie 2012/2, S. 69-80.
  • Reemtsma, Jan Philipp: Gewalt und Vertrauen. Grundzüge einer Theorie der Gewalt in der Moderne. In: Ders.: Gewalt als Lebensform. Zwei Reden. Stuttgart 2016, S. 29-55.
  • Seel, Martin: Das Radikale und das Moderate. Erkundungen in einem spannungsreichen Begriffsfeld. In: Konersmann, Ralf/ Westerkamp, Dirk (Hrsg.): Zeitschrift für Kulturphilosophie 2012/2, S. 6-17.

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2 COMMENTS

  1. Lu | 29th Dez 22

    Hm, ich verstehe gar nicht warum ihr denkt, dass man mehr Plaste verbrauchen würde wenn man vegan lebt. Klar sind die fancy alternativprodukte verpackt, aber das sind auch alle nicht veganen Produkte. Selbst die Wurst von der Frischetheke wird verpackt. Und ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass Veganer*innen statistisch weniger Plaste verbrauchen, einfach weil sie im Schnitt mehr Gemüse und Obst essen (und das kann man oft unverpackt kaufen).
    Und eine eingeschweißte Bio-Gurke habe ich schon seit mindestens 2 Jahren nicht mehr gesehen, weder im konventionellen Supermarkt, noch im Biomarkt. Damit möchte ich nicht sagen, dass es diese nicht gibt, aber Standard ist das nicht mehr.
    Liebe Grüße

    • nora@wddd | 2nd Jan 23

      Hallo,
      das mit den Biogurken war nur ein Beispiel, das mir spontan in den Sinn kam. Dein Hinweis ist natürlich richtig. Auch viele Nichtvegane Produkte sind in Plastik verpackt. Da spreche ich im Zweifel einfach aus einer sehr persönlichen Perspektive. Ich habe den Luxus, einen Unverpackt-Laden direkt ums Eck zu haben. Das heißt, ich kaufe seit ein paar Jahren sehr viele Dinge ohne Plastikverpackung. Umso mehr fällt mir dann auf, wenn ich vegane Sachen kaufe und die dann in Plastik verpackt sind. Wie zum Beispiel die Schokopralinen, über die ich mich mega gefreut hatte. Und erst nach Öffnen der Packung sehe ich dann, dass in der Papiertüte alle Schokokugeln einzeln in Plastik verpackt sind. Sowas enttäuscht mich. Ist aber zB bei vielen nichtveganen Schokoprodukten in der Größe Standard. Das stimmt schon. Deshalb vielen Dank für den Hinweis. Da bin ich einfach meiner eigenen Wahrnehmung und Lebensrealität auf den Leim gegangen. Falls du mal eine Studie dazu finden solltest, lass gerne mal einen Link da!
      Dir auf jeden Fall ganz herzlichen Dank fürs intensive und aufmerksame Zuhören und deinen Einwand.
      Ganz liebe Grüße

      Nora vom WDDD-Podcast

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